Die Darstellung sexueller Akte ist ähnlich alt wie die Menschheit und reicht bis weit vor unsere Zeitrechnung zurück. Aber seien wir doch einmal ehrlich: In Zeiten von Computertechnik und KI ringen und pornografische Höhlenmalereien bestenfalls noch ein dezentes Lächeln ab. Kein Wunder, sind wir es inzwischen doch gewohnt, auf ganz andere Formate zurückzugreifen und uns inspirieren zu lassen. Aber eines hat sich trotzdem nicht geändert: Das Überzeichnen des Normalen beim Im-Porno-Dargestellten kickt uns immer noch besonders. Wie wirkt sich das auf unsere Vorstellungen von „normalem Sex“ aus und warum sind Pornos vielleicht doch gar nicht so daneben, wie manche von uns zuweilen glauben?
Sind Pornos Kunst oder können die weg?
Hand hoch, wer von uns noch keinen Superheld*innen—Film gesehen hat. Und wer von uns dabei kritisiert hat, dass das alles in der Realität ja gar nicht so funktioniert, wie man es gerade auf dem Bildschirm präsentiert hat. Eben. Schließlich stehen bei Superheld*innen-Filmen andere Aspekte wie etwa
- der gezielte, permanente Tabubruch,
- das Ausleben von Fantasien, die ansonsten wenig gesellschaftskonform sind und
- das Auslösen von totaler Spannung und Erregung beim Gegenüber.
Und wer jetzt denkt, dass das eine neue Idee sei, der liegt leider falsch. Siegfried, Brünhild, Tristan, Kleists Penthesilea / Achilles und Co. lassen schon in der hochmittelalterlichen bis klassischen Literatur grüßen, wenngleich die damit verbundenen Werke natürlich oftmals nicht explizit als Porno konzipiert wurden. Aber unsere Begeisterung für (potente) Held*innen ist ungebrochen und so wollen wir sie auch heute noch im Film sehen. Speziell im Porno.
Will heißen: Was im Porno, primär im High-Professional-Bereich geboten wird, sind (nahezu) makellose Darsteller*innen. Bestens definierte Muskeln, knackige Pos, flache Bäuche, Big Dicks en mas und – je nach Zielgruppe – zarte kleine Brüste bis XXL-Decolletés … all das gehört dazu. Und das braucht auch an sich kein Problem darzustellen, solange wir uns alle bewusst machen, dass es sich eben um die gezielte filmische Umsetzung einer erotischen Fiktion handelt. Wobei der Hase insofern im Pfeffer liegt, als in der Vergangenheit selbst bei den
Produktionen von Amateur*innen oftmals der Eindruck entstand, dass sich manche etwas (zu) sehr am Hochglanz-Porno orientieren. Das lässt sich unter anderem an den Ideen bezüglich der männlichen wie weiblichen sexuellen Fähigkeiten erkennen.
Der omnipotente, bestens bestückte und XXL-Spermamengen abspritzende Mann
Kann nicht, gibt’s nicht. Jedenfalls nicht im Porno. Hier gibt es keine Probleme mit Erektionen und nicht-wirklich erregenden Stimulationen. Ebenso erweisen sich lange Anlaufzeiten als Fremdwort. Die Crux an der Sache: Sieht man(n) im Film permanent nur Dauererektionen, kann einen das Erkenntnissen der Universität Arkansas zum ungünstigen Schluss führen, dass mit der eigenen Potenz etwas nicht in Ordnung sei.
Ebenfalls nicht sehr hilfreich: Der Eindruck, dass nur ein
Big Dick von 18 oder sogar noch mehr Zentimetern wesentlich sei, um eine Frau erotisch-sexuell anzutörnen. Ein Eindruck, der sich laut des Londoner King Colleges sowieso (im wahrsten Sinne des Wortes) nicht aufrechterhalten lässt, weil der Durchschnittpenis nur knapp mehr als 13 Zentimeter lang ist.
Und nicht zuletzt ist Sex im echten Leben auch nicht unbedingt so spritzig – zwischen 2 und 6 Milliliter entsprechen dem Durchschnitt pro Ejakulation. Im Porno sind es dagegen oft deutlich mehr, weshalb so manch ein Zuschauer selbst beim Orgasmus noch einmal ins Zweifeln bezüglich seiner eigenen körperlichen Vorzüge gerät. Aber auch Frauen kommen nach dem Porno-Konsum oftmals ins Grübeln
… trifft auf die stets willige, naturfeuchte und vom Würgereflex befreite Frau
„Das läuft ja wie geschmiert“, möchte man beim Anblick vom weiblichen Intimbereich in Pornos meinen. Erst feucht werden? Gar kein Problem, weil frau das ja offenbar schon war oder zumindest schnell wird. Dass Stress, nervige Mitmenschen und andere Stimmungskiller im Porno nun einmal keine Rolle spielen, fällt freilich dezent unter den Tisch.
Ähnliches gilt für die Feststellung, dass so manche Erotik-Darstellerin tatsächlich keinen Würgereflex hat oder – was noch häufiger der Fall ist – sich diesen mithilfe eines langwierigen Trainings abtrainiert hat. Merke: Einen
Deepthroat aus dem Stegreif hinzulegen, ist keine 0815-Aktion, ganz im Gegenteil. Da gehört schon einige Übung zu, die im Sexfilm nicht unbedingt zum Thema wird.
Apropos Thema: Eigentlich wäre es ja erfreulich, wenn man(n) sich beim Sex etwas ausgiebiger um die Klitoris kümmern würde, sofern dies auch gewünscht wird. Der Haken: Manch eine*r glaubt nach dem Porno-Konsum, dass hierbei härter, länger und mehr besser sei. Was sich aber in der Realität ungünstigerweise oft als Trugschluss erweist. Speziell in Kombination mit Mitmenschen, die meinen, dass Fragen etwas kosten würde und daher auf keinen Fall erfolgen darf. Unter anderem im Zusammenhang mit den folgenden Aspekten …
Stellungskriege deluxe
Ob
überbewertete Vorspiele |
mindestens halbstündige Penetrationen |
selbstverständlicher Dirty Talk |
Schreie, die die Nachbar*innen neidisch werden lassen |
Stellungen, die keine*r problemlos halten kann |
allgegenwärtiger Analsex |
Double und Triple Penetrations oder |
Cumshots als einziges Finale – |
es gibt noch so einige Sachen, die im Porno wirklich scharf wirken, sich im wahren Leben jedoch nicht als realitätsnah erweisen.
Gerade im Hinblick auf die Double Penetration und den Cumshot ist festzuhalten, dass Paare / Gruppen sie in der Realität deutlich seltener umsetzen oder bestimmte Personen deutlich weniger darauf stehen, als man(n) vielleicht hätte vermuten wollen. Zumindest suggerieren das die Forschungsergebnisse der US-Universität von Arkansas.
Zum einen hat sie bei einer Untersuchung von Pornos festgestellt, dass die Darsteller*innen in 20 % der Fälle eine Double Penetration präsentierten. Vergleichswerte aus dem echten Leben zeigten jedoch, dass nur 1 % der Frauen und 3 % der Männer entsprechende Erfahrungen vorweisen konnten.
Zum anderen erweist sich ein
Cumshot als unkomplizierter Nachweis im Porno, dass ein Mann gekommen ist. Dumm nur, dass nun wirklich nicht jede empfangende Person (es muss ja keine Frau sein) Sperma in den Haaren und/oder in den Augen als sinnlich-scharf empfindet. Vielmehr meinten rund vier Fünftel der von der Universität befragten Frauen, dass es eher ein Lustkiller sei, zumal häufig noch eine unfreiwillige Degradierung zum Sexobjekt dazukäme.
Fazit? Nicht alles muss man so heiß essen, wie man es koch
Wie schon angesprochen, können Pornos eine eigene Kunstform darstellen. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Variante, Sex auf künstlerisch-kreative Weise zu interpretieren. Im Umkehrschluss zielt die große Mehrheit der Pornos also nicht darauf an, die einzig wahre Art des Vögelns darzustellen. Und wo wir schon beim Thema Kunst sind, können wir auch festhalten, dass nicht alles ausschließlich realistisch ist und sein will. Was es auch nicht sein muss.
Und so dürfen wir uns alle ganz entspannt die Frage stellen, ob wir uns wirklich mit professionellen Darsteller*innen vergleichen wollen und müssen. Oder ob es nicht sinnvoller wäre, sich einfach inspirieren zu lassen und zu überlegen, was einen kickt und was nicht. Eine gewisse Transferleistung, das Umrechnen auf die eigene Realität, müssen wir dann natürlich noch erbringen. Aber auch das kann ja durchaus Spaß machen und sich mit einem kreativen, lustvollen Spiel verbinden lassen.
Und so bleibt es denn dann auch nur ein Gerücht, dass das Porno-Schauen in einer Beziehung garantiert schadet. Denn schließlich kann ein Sexfilm ein gutes Gesprächsthema darstellen, das einem die Augen bezüglich der eigenen Vorlieben und denen des Gegenübers öffnet. Gerade auch in Bezug darauf, was man vielleicht zum Anschauen scharf findet, im echten Leben aber eben doch nicht selbst ausprobieren will. Schließlich braucht nicht jede Fantasie real zu werden. Gleichzeitig muss man aber auch nicht jede Fantasie deswegen gleich beerdigen und sich aus dem Kopf schlagen. Das tun wir mit unseren Film- und Literatur-Held*innen ja ebenfalls nicht, oder? Wir sollten nur clever mit ihnen umgehen lernen ...