Der Wunsch nach erotisch-sexuellen Kontakten ist – entgegen der Vermutungen vieler Menschen – keine prinzipielle Frage des Alters. Es bleibt aber die Frage, wie sich die damit verbundenen Bedürfnisse umsetzen lassen, was ihre Umsetzung unter Umständen erschweren kann und welche Möglichkeiten bestehen, um die eigene Erotik und Sexualität im letzten Lebensviertel trotzdem genießen zu können.
Warum gilt der Sex im Alter oftmals als Tabuthema?
Sex im Alter – darüber spricht man doch nicht! Aber warum eigentlich nicht? Die Gründe dafür sind vielfältig und lassen sich gerade bei den heutigen Senior*innen oft noch auf
- eine unzureichende Aufklärung in ihrer Jugend
- tradierte Geschlechterrollen,
- moralische und/oder religiöse Hemmungen und
- die Scheu, über eigene Wünsche, Erwartungen und Vorstellungen zu sprechen,
wobei der letztgenannte Faktor insbesondere ältere Frauen zu betreffen scheint.
Außerdem nehmen jüngere Menschen unter 70 Jahren oftmals an, dass ältere Personen am Sex nicht mehr interessiert seien und er deswegen ausfalle. Doch das stimmt nicht. Umfragen zeigen, dass von den Männern zwischen 70 und 79 Jahren noch rund ein Drittel sexuell aktiv ist – und bei den Frauen ist die Quote sogar noch höher. Allerdings ist es bei den über 80-Jährigen Männern dann nur noch lediglich jeder Zehnte, bei den Frauen noch knapp jede Fünfte.
Indes: Ob man Sex hat oder nicht, steht nicht zwangsweise im Zusammenhang damit, wie groß das eigene sexuell-erotische Verlangen ist. Immerhin kommt es nicht selten vor, dass man selbst oder die*der Partner*in gesundheitlich so vorbelastet ist, dass Geschlechtsverkehr und/oder Selbstbefriedigung einfach nicht mehr möglich ist. Das heißt jedoch nicht, dass Liebe, Erotik und Sexualität deswegen jeden Stellenwert verlieren. Der Wunsch nach letztgenannten ist nur mehr nicht mehr ganz so intensiv.
Wie verändert sich das Bedürfnis nach Sexualität im Alter?
Wissenschaftler*innen der Universität Rostock haben in einer Kooperation mit britischen Forscher*innen im Rahmen einer zwölfjährigen Befragung mehrere ältere Ehepaare bezüglich ihrer sexuellen Zufriedenheit mehrfach interviewt. Das Ergebnis? Während die Paare ihre sexuellen Aktivitäten schrittweise zurückführen, blieb das Level ihrer sexuellen Zufriedenheit auf einem ziemlich gleichbleibenden Niveau – auch deshalb, weil sie der
Zärtlichkeit immer mehr Aufmerksamkeit schenkten. Das lang unter anderem auch daran, dass
- 91 % der 74-jährigen Männer diese wichtig fanden, während nur 61 % die explizite Alterssexualität in den Mittelpunkt stellten und
- 81 % der 74-jährigen Frauen ein Faible für den Austausch für Zärtlichkeiten hatten, während sich 21 % einen verstärkt sexuellen Kontakt wünschten.
Oder mit anderen Worten: Ältere Menschen über 70 Jahren scheinen sich mit ihren (körperlichen) Veränderungen gut zu arrangieren und passen sich an die sich wandelnden Umstände an. Weg von den exotischen Sexstellungen und hin zu mehr Intimität und streichelzarter Nähe.
Was kann zu Beeinträchtigungen des Sexlebens im Alter führen?
Ob psychische Probleme und Sorgen, körperliche Erkrankungen, insbesondere chronische Krankheiten, die Nebenwirkungen von Medikamenten oder Hormonumstellungen – wer in der zweiten Lebenshälfte, teilweise auch im letzten Lebensviertel angekommen ist, muss sich mit verschiedenen körperlichen und seelischen Veränderungen auseinandersetzen. Und diese können durchaus auch die Sexualität betreffen und sich auf diese auswirken, man denke etwa an die folgenden Aspekte:
Frauen |
Männer |
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|
Hormonumstellungen: sinkender Östrogenspiegel – verminderte Durchblutung der Scheidenschleimhaut – trockenere Scheidenschleimhaut – höheres Infektionsrisiko – längere Zeit bis zur Erregung |
Hormonumstellungen: sinkender Testosteronspiegel – verminderte Libido – mögliche Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen |
Harninkontinenz |
Erektionsstörungen |
Schmerzen bei bestimmten Sexstellungen (etwa nach einer Gebärmutterentfernung) |
vorzeitiger Samenerguss |
negative Wahrnehmung des eigenen Körpers |
Einfluss chronischer Erkrankungen (wie Diabetes, Rheuma oder Bluthochdruck) auf Lust und sexuelle Leistungsfähigkeit |
Wie sieht es mit dem Zusammenhang der eigenen Bedürfnisse und der bestehenden Möglichkeiten im Kontext des Alterssex‘ aus?
Eine Untersuchung von Schweizer Forscher*innen zeigte, dass mehr als die Hälfte der Frauen nach den
Wechseljahren eine gleichbleibende Lust auf Sex hatte (und sich sogar 8 % der befragten Frauen mehr Sex wünschten). Passend dazu blieben die Fähigkeiten, einen Orgasmus zu erleben und erregbar zu sein, bis gegen Ende 70 erhalten – ebenso wie das sexuelle Interesse der meisten Frauen.
Der Knackpunkt am Ganzen? Offenbar scheinen nur noch etwa 25 % der Frauen über 65 ein aktives Sexualleben zu haben. Was unter anderem daran liegt, dass viele von ihnen Witwen oder geschieden sind und keine neuen Bindungen anstreben. Bei den Männern in den gleichen Altersgruppen hingegen sind über 50 % noch sexuell aktiv; ihre Aktivität scheint dann auch erst ab Mitte 70 klar nachzulassen.
Unabhängig davon ist jedoch festzuhalten, dass der Wunsch danach, sich sexuell oder zumindest erotisch auszuleben, bei beiden Geschlechtern auch bis ins höhere Alter noch recht hoch ist. Somit kommt es auch im Hinblick auf das Leben und Betreut-Werden in altersgerechten Wohnungen und Pflegeheimen darauf an, den Raum und Rahmen für eine erfüllte Sexualität im Alter neu zu denken – Stichwort
Sexualassistenz.
Was kann man für ein erfülltes Sexleben im Alter tun?
Manche Faktoren lassen sich nur schwer beeinflussen, auf andere kann man durchaus Einfluss nehmen. Und diesbezüglich gilt bei der Sexualität im Alter, dass Vorsorge besser als Nachsorge ist. Es lohnt sich also, regelmäßig zur Gesundheitsvorsorge zu gehen und darauf zu achten, dass
- man nicht zu viel raucht und trinkt,
- sich aber ausreichend bewegt,
- gesund isst
- und Übergewicht vermeidet.
Zusätzlicher Pluspunkt? Es gibt durchaus
Sportarten, die der Libido zuträglich sind, die sich auch im höheren Alter noch vergleichsweise gut ausführen lassen – und die einfach Spaß machen, sei es in der Gruppe oder allein.
Außerdem hilft es, wenn man sich einfach keinem erotisch-sexuellen Stress und Leistungsdenken mehr aussetzt und sich einfach gönnt, was einem selbst gut (und auch der*dem Partner*in, sofern vorhanden) gut tut. Sei es in Form von Sex, Streichei- und Kuscheleinheiten, Sextoys oder anderen Dingen.
Und, last but not least: Auch Mediziner*innen und Gesundheitsdienste sollten dazu beitragen, dass sich Senior*innen bezüglich ihrer sexuellen Wünsche und Bedürfnisse leichter öffnen können. Schließlich steht das Thema Alterssexualität in vielen Pflegeeinrichtungen bislang nicht so im Mittelpunkt, dass es vielen älteren Menschen möglich ist, sie zu genießen und den notwendigen Raum für die damit verbundene Intimität zu finden. Aber vielleicht kommt das ja noch – wünschenswert ist es auf jeden Fall.