Klaus Wowereit, ehemaliger Bürgermeister der deutschen Hauptstadt, wird von den meisten Menschen vor allem mit zwei Sprüchen in Verbindung gebracht: „Ich bin schwul – und das ist gut so“ und „Berlin ist arm, aber sexy“. Die erste Aussage ist natürlich Privatsache des Regierenden Bürgermeisters. Der zweiten wollen wir hier etwas näher auf den Grund gehen.
Berlin 1989: Dornröschen erwacht als lüsterne Göre
In den Jahrzehnten der deutschen Teilung hatte Berlin einen merkwürdigen Sonderstatus als zerschnittene Metropole mit einer freien und einer hermetisch abgeriegelten Hälfte. Mit dem Fall der Mauer ging viel frischer Wind durch Berlin. Auch und insbesondere im Party- und Nightlife war Berlins Nachholbedarf gewaltig. Viel Geld hatte man zwar nicht zur Verfügung, dafür aber jede Menge Optimismus, Kreativität und Feierstimmung.
In dieser Gemengelage konnte die Berliner Loveparade zur größten und schrillsten Technoparty der Welt aufsteigen – und nachts wurde in zahllosen Underground-Clubs und ähnlichen Locations weitergefeiert. Und die Erotik kam dabei auch nicht zu kurz, im Gegenteil: Der 1994 gegründete und längst legendäre KitKatClub steht beispielhaft für den fließenden Übergang zwischen einem Techno- und einem Swingerklub – und stand damit Pate für die heute auch anderswo so beliebten Kinky Partys.
Parallel entwickelte sich auch eine sehr lebendige LGBTQ+-Community in der Stadt. Und das nicht nur für queere Menschen und Paradiesvögel aus Berlin und der Region: Nun strömten Freigeister aus aller Welt in die deutsche Metropole.
Seit dem Millennium: Weniger alternativ, aber immer noch anders
Die 1990er-Jahre waren vor allem für Berlin eine Dekade für extrem viel Trial-and-Error, für schräge Konzepte und ebensolche Ideen. Natürlich auch für Party, Erotik und Lifestyle. Seither wurde manches verworfen, anderes hält sich bis heute: Die Loveparade ist Geschichte, der KitKatClub hingegen ist nicht nur für
hedonistisch-frivole Technofans weiterhin eine der wichtigsten Adressen in Berlin.
Andere Clubs und heiße Locations kommen für sich betrachtet nicht an dieses Renommee heran, bilden aber gemeinsam das Fundament einer weiterhin pulsierenden Szene. Ganz gleich, ob man den Besuch in der Vernissage bei einem Cocktail ausklingen lassen oder in der Berliner Nacht heiße Sexdates klarmachen will – hier ist weiterhin alles möglich.
Und man ist weiterhin stolz auf seine Eigenheiten. Zum Beispiel gilt der Döner als typisch berlinerisch – und ist beim Dating-Konzept „
Candlelight-Döner“ ein zentrales Element.
All dies überzeugt nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern weiterhin auch international. So steht Berlin in der vom Sprachlernportal „Preply“ herausgegebenen Liste der sexpositivsten Weltstädte auf Rang 15 und die „Huffington Post“ weist der Stadt bundesweit ganz klar den ersten Rang zu. Gründe hierfür sind u.a. die Anzahl der LGBTQ+-Events und Gaybars.
Hat Klaus Wowereit also Recht?
Ja und nein. Tatsächlich hat Berlin eine Menge zu bieten – nicht nur im Hinblick auf Erotik und hedonistischen Lifestyle. Andererseits hat die deutsche Hauptstadt einen großen Teil ihrer Aufbruchstimmung zugunsten von weltstädtischem Flair eingebüßt, und zwar mit allen zugehörigen Licht- und Schattenseiten.
- Positiv ist: Berlin bleibt eine weltoffene, liberale Stadt. In vielen Stadtvierteln fühlen sich Angehörige der LGBTQ+-Community nach wie vor sicher und willkommen. Sogar einen nonkonformen, kinky Lifestyle kann man in weiten Teilen Berlins sehr offen leben. Ein breitgefächertes Nightlife reicht von hoher Kultur bis hin zu bizarr anmutendem Trash – und dazwischen findet jede*r ihren*seinen Platz. Nicht nur Einheimische, sondern auch Gäste der Stadt betonen: Berlin lebt einen ständigen Wandel und bleibt sich gerae deswegen immer treu.
- Negativ ist: Seit das Gros der Clubs aus den 1990er-Jahren verschwunden ist, vermissen viele Menschen den rauen, alternativen Charme, der die Stadt früher ausgemacht hat. Nicht allen neuen Locations gelingt es in gleicher Weise, dieses Berliner Lebensgefühl zu transportieren. Gleichzeitig hat sich Berlin vom Geheimtipp zu einer der teureren Metropolen entwickelt. Das gilt auch, aber natürlich nicht nur für den (erotischen) Freizeitbereich: Die Mieten und weitere Lebenshaltungskosten haben ein Niveau erreicht, bei dem das wachsende Prekariat nicht mehr mithalten kann. Dies führt auch bei vielen verwurzelten Berliner*innen mittlerweile zu einer Stadtflucht. Viele Gäste hingegen betonen zwar die Berliner Infrastruktur, auch und gerade im Hinblick auf Kultur, Shopping und Ausgehen. Zahlreiche Taxifahrer*innen machen ihrem schnodderigen Ruf aber offenbar alle Ehre und sorgen bei Fremden nicht unbedingt für ein Wohlgefühl. Gerade dort wird einem klar: Im Ranking der erotischen Dialekte belegt Berlinerisch aus guten Gründen nur einen mittleren Platz …
Fazit: Berlin ist, was man selbst daraus macht
Unter dem Strich geht es Berlin nicht anders als anderen Millionenstädten: Für einige Menschen handelt es sich um das Paradies, andere können der Metropole ganz und gar nichts abgewinnen. Wer die Stadt besucht oder dort sogar leben möchte, sollte unbedingt viel Offenheit und Toleranz an den Tag legen, außerdem kommunikativ sein, ohne sich den Leuten aufzudrängen. Dann stehen die Chancen nicht schlecht, unter der rauen Berliner Schale tatsächlich einen sehr erotischen Kern zu entdecken.