Rote Lippen haben einiges zu sagen – und dass das durchaus mit Erotik, aber auch anderen Dingen zu tun haben kann, zeigt die Geschichte des Lippenstifts! Grund genug, sie etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, oder?
Die alten Zivilisationen / die Antike
Die ersten Hinweise auf Lippenbemalung und -pflege stammen aus dem sumerischen Reich. Sie sind von etwa 3.500 v. Chr., also mehr als 5.000 Jahre alt und umfassen Lippensalben sowie Lippenfarben, die auf giftigem Bleiweiß und zerstoßenen Edelsteinen basierten. Und schon im altägyptischen Reich war es eine gängige Praxis, sich nicht nur die Augen, sondern auch die Lippen zu schminken. Bereits Nofretete (ca. 1.350 v. Chr.) war dafür bekannt – aber auch Kleopatra griff gern zur Lippenfarbe. Denn immerhin standen geschminkte Lippen für einen gewissen Status, was auch für Männer, vorrangig Krieger, galt. Zu den besonders gefragten Farben zählten unter anderem Orange, Rot und Schwarz; als Basis für die Herstellung der Lippenfarben dienten neben Jod
Algen |
Fischschuppen |
Ocker |
Brom |
Pflanzen |
oder sogar Käfer |
Doch so farbenfroh es auch in der ägyptischen Oberschicht zuging, die antiken Griech*innen konnten sich für diesen Prunk nur eingeschränkt erwärmen. Immerhin stand Make-up und gerade die Bemalung der Lippen 500 v. Chr., doch offiziell nur Hetären, Prostituierten und Künstlerinnen gut zu Gesicht.
Aber dafür fanden die Römerinnen etwas später wieder Gefallen an dem frischen roten Ton für die Lippen. Man sieht also, es ist alles eine Frage der Zeit und der Kultur, in die man jeweils geboren wird. Und das zeigte sich auch in späteren Epochen …
Das Mittelalter / die Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
Die Frage nach der mittelalterlichen Schminke ist eine eigentlich besonders interessante, denn dazu gibt es nicht allzu viele Erkenntnisse. Man darf aber sehr wahrscheinlich davon ausgehen, dass die Kirche zu viel zu sehr zur Schau gestellte Sinneslust bestimmt nicht ganz so himmlisch fand. Dafür rockte die Schminke im Barock – und das bei Frauen und Männern gleichermaßen. Das lag jedoch auch nicht unwesentlich daran, dass man das Problem des Farbstoff-Nachschubs mithilfe des Imports der mittelamerikanischen Cochenilleläuse besser in den Griff bekam.
Ein ganz bekannter Fan roter Lippen war in diesem Zusammenhang Queen Elizabeth I., die ihre roten Lippen und karminrot gefärbten Wangen noch zusätzlich durch das Weiß-Pudern ihres Gesichts hervorhob. Doch diese Farben hatten ebenfalls einen Haken: Sie enthielten weiterhin Bleiweiß, was letztlich zu Entstellungen des Gesichts führte und viele Leute glauben ließ, dass rote Lippen teuflischen Ursprungs seien. Das Ergebnis? Strengere Gesetze, speziell im viktorianischen Zeitalter und ein expliziter Lippenstift-Diss durch Queen Victoria (1860). Und so war die Lippenfarbe zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder ein (fast) reines Make-up-Utensil für Schauspielerinnen und Prostituierte geworden.
Indes: Diese Haltung hielt nicht wirklich lange vor, denn 1883 zeigte ein Pariser Parfümhersteller auf der Amsterdamer Weltausstellung einen Lippenstift, der sich aus Bienenwachs, Hirschtalg sowie gefärbtem Rizinusöl zusammensetze und den er elegant in Seidenpapier eingewickelt hatte. Sündig, teuer … das wollten alle haben! Folglich dauerte es nicht mehr lange, bis sich das Unternehmern Guerlain daran machte, Lippenstifte im großen Stil für alle herzustellen. Dadurch brauchte man dies nicht mehr selbst zu Hause machen und war dazu gezwungen, die Farbe ebenfalls dort aufzutragen. Ein wesentlicher Schritt zu mehr Flexibilität und räumlicher Freiheit war gemacht!
Der Beginn des 20. Jahrhunderts
Mit die Erste, die bei den neuen Lippenstiften so richtig beherzt zugriff, war die französische Schauspiel-Diva Sarah Bernhardt; schon bald begeisterten sich immer mehr Menschen dafür. Dazu zählten interessanterweise auch zwei Gruppen, die man ansonsten vielleicht nicht so in einem Atemzug nennt. Nämlich die Hollywood-Stars des frühen 20. Jahrhunderts und die Suffragetten, die sich für die Frauenrechte einsetzen.
Auf die eine oder andere Weise profitierten aber beide Gruppen davon, dass man ab 1910 Lippenstifte auch in Metallhülsen erhielt und der er ab 1915 drehbar wurde. Wobei die Inhaltsstoffe (zerdrückte Insekten, Bienenwachs und Olivenöl) noch dazu führten, dass er schnell ranzig wurde. Aber wie dem auch war, der Lippenstift galt schon bald in der Kombination mit den roten Lippen als radikales Symbol der Rebellion, des Feminismus und der
Femme fatale. Zumal es erst dank Elizabeth Adern in den 1930er Jahren farbliche Alternativen gab. Doch selbst dann noch blieb Rot DAS farbliche Mittel aller Dinge, denn …
Die Mitte des 20. Jahrhunderts
… im Zweiten Weltkrieg bewährte sich „Victory Red“ erneut als patriotisches Zeichen. Nur wenige Jahre nach dem Ende des Kriegs, 1951, lag es dann am Kosmetikhersteller Revlon mithilfe einer Kampagne, in der sich Lippenstift- und
Nagellackfarben harmonisch zueinander zeigten, für Furore zu sorgen. Dabei ließen es sich Stil-Ikonen wie Marilyn Monroe natürlich nicht nehmen, ebenfalls zum roten Lippenstift zu greifen. Sie verliehen ihm Glamour-Faktor hoch 10, den sich inzwischen aber praktischerweise auch die „normalen“ Frauen holen konnten, weil es das Lippenrot bereits in die Handtasche geschafft hatte.
Ähnlich vorteilhaft? Die Verbesserung der Zusammensetzung des Lippenstifts durch die US-Chemikerin Hazel Bishop. Sie machte Lanolin zu seiner Basis, was dazu führte, dass die Farben nicht mehr verschmierten. Folgerichtig war es für die Fans von roten (oder anderweitig) bunten Lippen also fast schade, dass man in den 1960ern wieder zu einem natürlicheren Erscheinungsbild inklusive Pastelltönen oder einem vollkommenen Lippenstift-Verzicht zurückkehrte. Allerdings blieb es nicht lange dabei!
Das Ende des 20. Jahrhunderts/ heute
Denn ab den 1970ern und 1980ern ging es bei den knallbunten Lippenstiftfarben noch einmal so richtig rund – Stichwort Disco- und Rock-Ära. Mochten es die Hippies lieber natürlich-dezent, färbten sich sowohl männliche als auch weibliche Disco- und Rockfans die Lippen wieder in den schrillsten Tönen. Ob Grün, Blau oder Lila – die High-Society des Barocks hätte ihre helle Freude daran gehabt.
In den 1990ern dagegen wurde es dank matten Brauntönen noch einmal dezent. Doch schon ein Jahrzehnt später glitzerte es wieder in den knalligsten und schimmerndsten Neon-Varianten. Und heute? Machen alle, was sie wollen – und das ist doch eigentlich gar nicht so schlecht, oder?