„Typisch Narzisst!“ Menschen, die gleichermaßen dominant wie arrogant und egoistisch auftreten, werden häufig mit dieser Wertung bedacht. Als Kompliment ist die freilich nicht gemeint, sondern eher als Alarmsignal: Hier sollte man im Sinne des eigenen Wohlbefindens und des Blutdrucks tunlichst auf Distanz gehen. Handelt es sich bei der entsprechenden Person um eine*n Verwandte*n oder gar eine*n Vorgesetzten, ist das natürlich leichter gesagt als getan. Zudem gibt es Bereiche, in denen sich Narzisst*innen nur scheibchenweise zu erkennen geben. Ein Beispiel hierfür ist das Online-Dating.
Wer oder was ist eigentlich ein*e Narzisst*in?
Der Begriff geht auf den Namen einer Figur aus der griechischen Mythologie zurück: Narziss ist ein ungeliebter Sohn eines Gottes und einer Nymphe. Trotz seiner eigenen Schönheit ist es ihm unmöglich, sich selbst zu akzeptieren. Auch die Liebe verschiedener Verehrerinnen weist er zurück, bis Liebesgöttin
Aphrodite der Kragen platzt. Sie verdammt ihn dazu, sich in sein eigenes Spiegelbild zu verlieben. Als er selbiges verzerrt erkennt, ist er von der eigenen Hässlichkeit so heftig schockiert, dass er stirbt.
Ganz soweit reicht die Tragik in der Realität nicht, trotzdem kommt die Bezeichnung des ‚modernen‘ Narzissmus nicht von ungefähr. In der Psychologie wird zwischen der
narzisstischen Persönlichkeitsstörung (die nur etwa 0,4 % der Menschen besitzen) und anderen Formen des Narzissmus unterschieden. Zu den Merkmalen, die in diesem Zusammenhang besonders häufig genannt werden, zählen unter anderem
ein übertriebener Selbstwert und eine entsprechende Selbstsicherheit |
das Bedürfnis nach Bewunderung und Bestätigung |
ein Mangel an Empathie
|
das Ausnutzen von anderen |
herablassendes Verhalten |
übertriebebene Erwartungen an andere |
Macht- und Perfektionsfantasien |
Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und Ablehnung |
heimlicher Neid auf andere |
eine starke Wettbewerbsorientiertheit |
ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis
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manipulatives Verhalten |
Welche Merkmale lassen eine*n Narzisst*in potenziell attraktiv erscheinen?
Wer die obige Liste studiert, wird in einer*m Narzisst*in keine sympathische Person erkennen: Menschen mit diesen Charakterzügen möchte man nicht einmal auf einen Kaffee einladen, geschweige denn mit ihnen eine heiße Nacht verbringen oder eine Liebesbeziehung führen. Doch Narzisst*innen haben auch eine andere, strahlende Seite, die äußerst attraktiv wirkt. Das liegt unter anderem daran, dass sie
- extrem selbstbewusst und souverän auftreten,
- Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen ausstrahlen,
- eloquent und gewinnend wirken,
- gepflegt und modisch daherkommen,
- sich gut selbst vermarkten und sehr kompetent erscheinen,
- offensichtlichen Mut zum Risiko beweisen,
- tatkräftig, zielstrebig und proaktiv wirken,
- Meister*innen beim Komplimente-Machen sind und
- eine hohe psychologische Anziehungskraft besitzen.
Narzissmus beim Online-Dating: Vorsicht, Falle!
Über Narzissten gibt es also jeweils eine lange Pro- und Contra-Liste. In den meisten Fällen wiegt die negative Seite schwerer, sodass man nicht unbedingt in diese Falle tappen muss. Doch es gibt gleich zwei Knackpunkte: Erstens sind erotische Kontakte und Liebesbeziehungen nichts, was man rein logisch arrangieren oder verwerfen kann. Zweitens muss man sein Gegenüber sehr genau kennen, um anhand der Checklisten eine Persönlichkeitsanalyse durchführen zu können.
Insbesondere beim
Online-Dating kann sich die Sache als extrem kniffelig erweisen. Denn Narzisst*innen wissen sich extrem gut zu verkaufen, während sie gleichzeitig ihre zweifelhaften Facetten zu verstecken wissen. Gerade beim ersten Kennenlernen wirken narzisstische Persönlichkeiten wie die absolute Traumfrau beziehungsweise der absolute Traummann. Man wird von Beginn an geradezu überschüttet mit Komplimenten, erlebt eine vielschichtige, aber immer angenehme Konversation und ein immer schöneres Kribbeln im Bauch. Auch beim ersten Date ist die negative Seite noch nicht erkennbar. Die*Der Narzisst*in erweist sich als charmant und galant und wird für die Verabredung natürlich nicht die Pommesbude, sondern den Edel-Italiener vorschlagen. Hier erweist sie*er sich beim Stühlerücken als ebenso kultiviert wie bei der Auswahl des Tischweines.
Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Stimmung kippt: Während die*der Narzisst*in den Fokus immer mehr auf die eigene Größe lenkt, sucht sie*er sein Gegenüber zu unterdrücken. Und das nicht nur, wenn sich der oder die andere tatsächlich auf eine wie auch immer geartete Beziehung einlässt. Zurückgewiesene Narzisst*innen erweisen sich allzu oft weiterhin als manipulativ: Zwar sind nicht alle Stalker*inne, doch viele Stalker*innen sind Narzisst*innen. Andere hingegen fokussieren sich darauf, die zurückweisende Person auf verschiedenen Wegen zu diskreditieren. Dass es sich hierbei um Straftaten handelt, ist narzisstischen Personen dabei häufig egal.
Im Zweifel gilt also: Immer langsam mit den jungen Pferden. Über die Online-Community hat man vielfältige Optionen, anonym miteinander zu kommunizieren. Ob Narzisst*in oder nicht: Wer zu übertriebener Eile antreibt, outet sich dadurch bereits als mögliche*r Wackelkandidat*in. Wie verhält man sich Narzisst*innen gegenüber am besten?
Auch hier kommt es immer auf den Einzelfall an. Trotzdem gibt es einige Eckpunkte, an der sich betroffene Menschen recht gut orientieren können.
klare Grenzen setzen und diese konsequent verteidigen |
emotional distanziert bleiben |
auf eine objektive Kommunikation achten |
Manipulationen verstehen und nicht darauf eingehen |
keine Veränderungen beim Verhalten der narzisstischen Person erwarten und verlangen |
bei Bedarf professionelle (Berufs- oder Rechts-) Unterstützung in Anspruch nehmen |
Abstand wahren oder herstellen (etwa durch das Beenden der Beziehung) |
Pflege der eigenen Bedürfnisse |
Entwickeln von effektiven Strategien zur Stressbewältigung zwecks Reduzierung der Belastung |
Ganz wichtig: Als Partner*in einer narzisstischen Person kommt einem keine therapeutische Aufgabe zu. In nahezu allen Fällen ist jeder Versuch zum Scheitern verurteilt. Im Zweifel ist das Ende mit Schrecken dem Schrecken ohne Ende vorzuziehen – selbst dann, wenn es eine tränenreiche Entscheidung ist.
Fazit?
Es ist nicht von der Hand zu weisen: Narzisst*innen sind flirty. Wer sich auf einen näheren Kontakt einlässt, braucht trotzdem Ellenbogen und Fingerspitzengefühl. Dass man bestimmte Charakterzüge von Narzissten sexy findet, ist absolut verständlich. Trotzdem kann das Miteinander allzu schnell ins Negative kippen. Spätestens wenn das eigene Selbstwertgefühl zu leiden droht, ist es Zeit für einen Schlussstrich. Auch wer sich an den letzten Strohhalm klammert, wird bei der*dem Narzisst*in keine charakterliche Veränderung bewirken.