Im Mai 2022 war es ein kleiner Skandal, der einmal nichts mit der Corona-Pandemie zu tun hatte: Die öffentlichen Bäder der Stadt Göttingen in Südniedersachsen gestatteten ihren weiblichen Gästen offiziell, sich beim Schwimmen oder Entspannen mit nackter Brust zu zeigen. Zwar gab es auch vorher kein gesetzliches Verbot, dennoch musste hierfür die geltende Hausordnung geändert werden. Mittlerweile ziehen viele andere Bäder in Deutschland nach – und das Echo ist geteilt. Da sollte man doch einmal die grundlegende Frage aufwerfen: Warum ist die nackt gezeigte Frauenbrust eigentlich solch ein Politikum?
Warum werden nackte Brüste überhaupt zensiert?
Es ist ein klarer Fall von Doppelmoral: Während das männliche Geschlechtsteil schon seit der Antike in der Kunst wie in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert besitzt, tut man sich mit der Darstellung weiblicher Brüste extrem schwer. Bereits junge Mädchen tragen, obwohl sich deren Brüste nicht von jenen der Jungs unterscheiden, ganz selbstverständlich einen Bikini beziehungsweise einen Badeanzug. Anders als die Jungs wachsen Mädchen also bereits mit der Direktive auf, ihre Brüste verstecken zu müssen. Spätestens, wenn sich diese im Zuge der Pubertät entwickeln, werden sie ganz selbstverständlich in einen BH gepackt. Und zwar auch dann, wenn der aufgrund geringer Größe keinen praktischen Nutzen erfüllt.
Auch später suggeriert man den Frauen, dass es nur wenige Gelegenheiten gibt, den Büstenhalter abzulegen:
- unter der Dusche,
- beim Schlafen,
- beim Stillen eines Babys
- und beim Sex.
Doch was ständig im Verborgenen bleibt, gilt gesellschaftlich schnell als anrüchig – insbesondere dann, wenn die entsprechenden Körperteile beim Liebesspiel ganz selbstverständlich freigelegt werden. Viele Fachleute lokalisieren die Ursache der Kontroverse genau an dieser Stelle: Die weibliche Brust steht nach dieser Logik im direkten Zusammenhang mit Beischlaf und dessen (möglichen) Folgen, also darf sie nicht zur Schau gestellt werden.
Das gilt auch in Deutschland und den europäischen Nachbarländern, doch die US-Amerikaner*innen treiben diese Form der Prüderie auf die Spitze. In einem Land, in dem Minderjährige problemlos an potenziell lebensgefährliche Schusswaffen gelangen können, sorgt die nackte Brust einer Frau für einen handfesten Skandal. So brachte es Janet Jacksons Panne bei einer gemeinsamen Bühnenshow mit Justin Timberlake unter dem Hashtag ‚Nipplegate‘ zu einem handfesten Skandal. Dass Jahre später ein
Dickpic des ebenfalls amerikanischen Musikers Tommy Lee in der Social Media zu betrachten war, ist vielen Menschen bis heute unbekannt.
Dürfen sich Frauen öffentlich oben ohne zeigen?
Ein Blick in die Bundes- und Landesgesetze scheint diese Frage klar zu beantworten: Es gibt nirgendwo eine gesetzliche Auflage, dass Frauen ihre Brüste züchtig bedecken müssen. Doch so einfach ist die Sache nicht, denn der Umgang mit der unbedeckten Oberweite obliegt den kommunalen Ordnungsbehörden. Die schreiten immer dann ein, wenn die öffentliche Ordnung oder auch das Kindeswohl beziehungsweise der Jugendschutz gefährdet sein könnten. In der Praxis bedeutet das meist: Überall dort, wo sich Kinder aufhalten oder sich andere Menschen gestört fühlen könnten, besteht für die Frauen de facto ein Oben-ohne-Verbot.
- Auf der Straße,
- im Supermarkt,
- im Café,
- vor Schulen und
- vor Kindergärten sowieso.
Doch erste Kommunen weichen mittlerweile von dieser gestrengen Haltung ab, wenn auch nur zögerlich. In den Göttinger Schwimmbädern gilt ‚oben ohne‘ für Frauen mittlerweile als bewährte Praxis (wenn auch nicht als Pflicht, keine Frau muss also mit nackter Brust baden), während man in anderen öffentlichen Bereichen der Stadt weiterhin daran festhält. Beim Sonnenbaden auf einer Wiese im Park drücken die Mitarbeitenden der Ordnungsbehörde allerdings meistens beide Augen zu.
In welchen Städten ist oben ohne im Schwimmbad erlaubt?
Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe an Städten, die dem Göttinger Beispiel folgen. Aktuell findet man u.a. diese Kommunen auf der Liste.
Göttingen |
Siegen |
Berlin |
Köln |
Hannover |
Frankfurt |
Wiesbaden |
München |
Wie wird ‚oben ohne für alle‘ gesellschaftlich bewertet?
Bereits in der Vergangenheit gab es immer wieder einige Versuche, das Nacktheitsverbot im Hinblick auf die weibliche Brust zu kippen. Doch damals waren die meist weiblichen Stimmen mit diesen Vorstößen recht alleine auf weiter Flur. Und auch heute sind die Befürworter*innen noch in der Minderheit: Laut einer YouGov-Studie sind nur 37 % der erwachsenen Deutschen dafür, den Dresscode für Frauen im Schwimmbad generell aufzuheben. Auffällig ist: Nur 18 % der insgesamt Befragten nutzen gerne typische
FKK-Orte wie Saunen oder FKK-Strände. Daraus lässt sich schließen:
- 63 % möchten die Kleiderordnung auch im Schwimmbad nicht verändern
- 18 % haben als FKKler*innen generell kein Problem mit dem Nacktsein
- 19 % stehen zumindest einer Lockerung positiv gegenüber