Das erste Date am Ostersonntag? Julia war sich nicht ganz sicher, was sie von Nicos Idee halten sollte. Allerdings hatte sie für diesen Tag noch keine anderen Pläne, sodass sie schließlich einwilligte. „Wo treffen wir uns denn – und was wollen wir unternehmen?“ Es dauerte nur Sekunden, bis sie die Antwort auf dem Display ihres Handys las.
„Lass dich einfach überraschen!“
„Ich verspreche dir, dass es ein wunderschöner Tag für uns beide wird!“ Sie lehnte sich zurück und atmete tief durch. Bisher kannte sie Nico nur online und von einem einzigen Telefongespräch, trotzdem schoss ihr ein „Typisch Nico!“ durch den Kopf. Normalerweise hasste sie Überraschungen, doch bei Nicos Charme wollte sie gerne eine Ausnahme machen. Dieser Typ hatte es ihr fast vom ersten Augenblick angetan. Sie hätte sicher nicht darauf gedrängt, doch wenn es beim ersten Date zu einer heißen Nummer kommen sollte, wäre ihr das absolut recht gewesen.
Was dieser Feiertag wohl bringen mochte?
Am Ostersonntag erwachte Julia früh durch die Strahlen der Frühlingssonne, die in ihr Schlafzimmer fielen. Ein erster Blick auf ihr Smartphone beantwortete ihre noch ungestellte Frage. Ihr Blick fiel auf den Ausschnitt einer Straßenkarte, auf dem ein abgelegener Parkplatz im Wald markiert war. Untertitelt war das Bild mit „10:00 Uhr?“ Julia seufzte tief. „Vielleicht habe ich etwas zu viel Vertrauen, aber okay!“, tippte sie schließlich in den Messenger.
Sie musste das Navi bemühen, um den Parkplatz zu finden. Trotz des schönen Frühlingswetters war er einsam und verlassen. Ob Nico womöglich zu Fuß unterwegs war? Oder mit dem Rad? Oder parkte sein Auto an einer vollkommen anderen Stelle? Julia stellte das Auto ab und erkannte noch vor dem Aussteigen den großen Kuschel-Osterhasen, der sich in der Astgabel eines Baumes befand. Vorsichtig hob sie ihn heraus und entdeckte einen darunter versteckten Zettel. „Schön, dass du da bist, Julia! Der kleine Waldweg neben diesem Baum führt dich zu mir.“ Vorsichtig blickte sie sich um, bevor sie den Hasen auf den Beifahrersitz ihres Autos setzte und sich zu Fuß auf den Weg machte.
Nach wenigen hundert Metern kam sie an eine Bank, auf der sich ein kleiner Geschenkkarton befand. Behutsam hob sie den Deckel ab, um darunter eine kleine Flasche alkoholfreien Sekt und ein Glas zu entdecken. Ein weiterer Zettel lag daneben: „Lust … auf eine prickelnde Erfrischung?“ Sie musste unweigerlich schmunzeln. Mit dem einleitenden Wort hatte er tatsächlich ein erregtes Kribbeln in ihr erzeugt. Erst einmal versuchte Julia aber, dieses Gefühl zu ignorieren. Sie trank die kleine Flasche aus, dann nahm sie den Zettel an sich und legte alles andere wieder zurück in den Karton.
Lust zu vögeln?
Der Weg machte ein paar Biegungen durch den dichter werdenden Wald. Ein kleiner Bach schlängelte sich links daran vorbei und sorgte für ein sanftes Plätschern, das sich mit dem Gesang der Vögel zu einem wunderschönen Konzert verband. „Wie wunderschön es hier ist!“, ging es ihr durch den Kopf. Just in diesem Moment entdeckte sie zwischen Weg und Bachufer eine weitere kleine Schachtel. Sie hob den Deckel ab und entdeckte zwei kleine, in Alufolie verpackte Vögel aus Schokolade. Ein Zettel daneben enthielt eine weitere Grußbotschaft von Nico. „Lust zu vögeln, Julia?“ Sie lachte lauter, als sie eigentlich wollte, dann wickelte sie den ersten süßen Gruß bereits aus seiner Umhüllung.
Bislang hatte ihr noch niemand eine solch direkte Frage gestellt. Und niemand hatte sie auf eine im wahrsten Sinne süße wie zart schmelzende Weise wieder auf den Boden zurückgeholt. Wieder blickte sie sich um: Wo hielt Nico sich bloß versteckt? Zu gerne hätte sie ihm gezeigt, wie sie den Begriff des ‚Vögelns‘ auf ihre ureigene Art interpretierte. Schritte hinter der nächsten Biegung des Weges ließen sie innehalten. Julias Herz klopfte wie wild. Dann erkannte sie einen kleinen, schwarzen Hund, der von einem Pärchen an der Leine geführt wurde. „Frohe Ostern!“, grüßte sie freundlich. Ihr Gruß wurde ebenso beantwortet. „Ebenfalls! Ein Date im Wald am Ostermorgen ist eine wunderbar romantische Idee!“ Die Spaziergänger klangen freundlich und fröhlich, hielten sich aber nicht länger bei ihr auf. Zu gerne hätte sie sich nach Nico erkundet. Immerhin entnahm sie den Worten, dass das Pärchen auf Nico getroffen war.
Süßer kleiner Hase ...
Julia setzte ihren Weg fort und dachte dabei über ihr eigenes Verhalten nach. Jedem Anderen hätte sie dringend davon abgeraten, sich fernab vom nächsten Ort in ein offenbar gigantisches Funkloch zu begeben, um sich hier mit einem unbekannten Fremden zu treffen. Und wenn es sich nicht um Nico gehandelt hätte, wäre sie an diesem Morgen ganz sicher nicht losgefahren. Jetzt allerdings kam es ihr nicht in den Sinn, den Rückweg anzutreten. Eine Biegung weiter staunte sie nicht schlecht: Auf einem winzigen Tisch am Wegesrand entdeckte sie eine Tasse dampfend heißen Kaffee neben einem Teller mit einem schokoladengefüllten Croissant. „Kleine Stärkung, süßes Häschen?“ Der Gruß klang fast nach einer kleinen Unverschämtheit.
Doch die konnte Julia ihrem Date sofort wieder verzeihen, denn offenbar hatte er in ihren Gesprächen genau aufgepasst. Der Kaffee war so schwarz und süß, wie sie ihn besonders gerne trank. Und das Croissant schmeckte so ofenfrisch, als käme es geradewegs aus der Backstube. Wie Nico es wohl geschafft hat, diese Leckereien für sie vorzubereiten? Während sie aß und trank, ließ sie ihren Blick in die Ferne gleiten. Vor ihr tat sich eine Lichtung auf und der Weg schlängelte sich ein gutes Stück nach unten. Es dauerte eine ganze Minute, bis sie in vielleicht zweihundert Metern Entfernung die knallrote Picknickdecke entdeckt hatte. Nun gab es für sie kein Halten mehr: Mit Kaffee und Gebäck in der Hand lief sie zügig weiter.
Ein grinsender Nico winkte ihr fröhlich zu, um sie in Empfang zu nehmen. Julia ließ sich schwungvoll in seine Arme fallen. Jetzt dauerte es nur noch Sekunden, bis ihre Lippen für einen schier endlosen Kuss aufeinandertrafen. Anschließend hatte Nico sein Grinsen sofort wiedergefunden: „Na Schatz, wie war ich?“ Natürlich bezog sich diese Frage gleichermaßen auf die vorausgegangene Schnitzeljagd wie auf den Begrüßungskuss. Julia erwiderte sein Grinsen, um sich sogleich am Knopf seiner Jeans zu schaffen zu machen. „Das Spiel ist noch nicht beendet, du frecher Rammler! Was wäre ein Ostersonntag ohne Eiersuche?“