Schon bevor der Vorhang sich öffnet, erklingt die Musik laut und durchdringend. Die leidenschaftlichen Klänge der spanischen Gitarren lassen eine geradezu ekstatische Show erwarten. Pure Erotik auf der Bühne, explizit und dennoch verhüllt, intensiv und pur, so wurde es zuvor angekündigt.
Dann wird der Blick frei auf eine fast leere, dunkle Bühne
Nur in der Mitte befindet sich ein einfacher, schwarzer Stuhl. Von links wie von rechts schreiten zwei Gestalten heran, Schritt für Schritt von Scheinwerfern ausgeleuchtet. Beide tragen hohe Schuhe und sind darüber hinaus durch mattschwarze, hautenge Anzüge von Kopf bis Fuß verhüllt. Weder groß noch klein sind die Figuren, weder dick noch dünn. An den entscheidenden Stellen zeichnen sich die Körperformen wunderbar ab. Schlanke, lange Beine, wohlgeformte Arme mit ebensolchen Händen, schmale Hüften über dem knackigen Gesäß…
Sind es Zwillinge? Erkennt man dort die die festen Brüste unter dem elastischen Kostüm? Fast zwanghaft wird der Blick in den Schritt gelenkt, um dort eine Antwort zu finden. Im selben Augenblick schwenkt der Lichtkegel gerade so weit nach oben, dass der so interessante Bereich in der Dunkelheit verschwindet. Im Takt der schneller werdenden Musik bewegen sich die Silhouetten synchron zueinander, um sich Augenblicke später in inniger Umarmung wiederzufinden. Die Luft scheint zu brennen, als sich die tänzelnden Körper umarmen und streicheln. Küsse werden angedeutet, gleichzeitig wandern die Hände von den Schultern über den Rücken immer tiefer und tiefer.
Schließlich verweilen sie an den Pobacken des Gegenübers, um hier kraftvoll zuzupacken. Der Lichtkegel umspielt die Figuren, sodass man als Zuschauer mehr als einhundert Prozent seiner Aufmerksamkeit braucht. Plötzlich sieht man die Hände im Schritt des Gegenübers nach vorne wandern, um die nachtschwarze Verpackung zu öffnen. Nun muss sich das Rätsel doch endlich aufklären? Wieder erlaubt der Lichtkegel keinen Blick an die entscheidenden Stellen.
Eine der Silhouetten setzt sich nun auf den Stuhl, um von der anderen umspielt zu werden
Erst begibt sie sich hinter die Lehne, um die Schultern der anderen zu massieren. Dann schlingt sie die Hände um die Hüften, bevor sie sich hockend im Takt der Musik nach vorne bewegt. Dort vergräbt sie den Kopf im Schritt der anderen Gestalt, die den Kopf mit einer lustvollen Bewegung nach hinten wirft. Irgendwann richtet sie sich auf und setzt sich, Gesicht zu Gesicht gewandt, auf den Schoß der zweiten Person.
Kurz meint man ein männliches Glied zu erkennen, das sogleich wieder im tiefen Dunkel verschwindet. Die nun folgenden Bewegungen der beiden Menschen lassen keinen Zweifel offen: Hier sieht man wahrhaftig echten, realen Sex. Anfangs liebevoll und zärtlich, dann immer leidenschaftlicher und heftiger umschlingen sie sich mit den Armen. Gleichzeitig steigert sich die obere Gestalt zu einem harten, hemmungslosen Ritt. Pünktlich zu den letzten Klängen der Musik fallen sich die beiden Körper in erkennbarer Erschöpfung in die Arme.
So verweilen die beiden für eine Minute fast regungslos, sodass man nur ihre Atmung spüren kann. Gibt es noch irgendein akustisches Signal, dass die große Frage nach den Geschlechterrollen beantworten könnte? Unter dem Applaus des elektrisierten Publikums schließt sich der Vorhang.