„Heute nicht, Schatz, ich habe Kopfschmerzen“. Viele Menschen rollen anschließend sofort mit den Augen, denn immerhin stellen Kopfschmerzen oft eine Ausrede bei Sex-Unlust dar. Dennoch ist es für viele Menschen kein Scherz und sie fühlen sich von ihren Kopfschmerzen in ihrer erotisch-sexuellen Lust (sehr) beeinträchtigt. Aber kann Sex stattdessen die Lösung sein? 2013 haben Wissenschaftler*innen rund um die damalige Doktorandin Anke Hambach an der Medizinischen Fakultät Münster herausgefunden, dass Sex bei manchen Kopfschmerz-Typen zu einer potenziellen Linderung führen könnte. Was hat es damit auf sich?
Die Frage aller Fragen: Hilf Sex gegen Kopfschmerzen?
Diese Frage stand im Mittelpunkt einer
Befragung von rund 800 Personen mit Migräne und 200 Personen mit Clusterkopfschmerzen, auf die es 402 Antworten gab. Dabei antworteten 38 % der kontaktierten Migräne-Patient*innen (306 Personen) und 48 % der Clusterkopfschmerz-Patient*innen (96 Personen).
Mit recht interessanten Ergebnissen, die sich wie folgt zusammensetzten:
- Bei den Migräne-Patient*innen hatten bereits 34 % der antwortenden Personen Sex bei einer Migräneattacke. 60 % von ihnen verspürten danach eine Verbesserung, 33 % berichteten von einer Verschlimmerung der Symptome. Wichtig dabei: Die Form des Sex‘ (also Geschlechtsverkehr mit einer*einem Partner*in oder Selbstbefriedigung) spielte für die Verbesserung oder Verschlechterung keine Rolle.
- Bei den Personen, die im Rahmen der Clusterkopfschmerz-Befragung antworteten, hatten rund 31 % bereits einmal Sex während einer Clusterkopfschmerz-Attacke. Von diesen sprachen jedoch nur 37 % von einer Verbesserung der Symptome, während sich diese bei 50 % verschlimmert hatten. Was bei den Forscher*innen die These aufwarf, dass es sich bei Clusterkopfschmerzen um länger anhaltende und von intensiveren Schmerzen begleitete Attacken handelt, sodass die Stimulation beim Sex möglicherweise nicht intensiv genug sei, um den Schmerz zu verringern.
- Und last but not least stellte sich heraus, dass die an der Studie teilnehmenden Männer von Sex als Kopfschmerztherapie wohl mehr haben können als Frauen. Denn immerhin 36 % der männlichen Migräne-Patienten entschieden sich bewusst für den Geschlechtsverkehr als Option, um etwas gegen ihre Schmerzen zu tun. Dies taten dagegen nur 14 % der antwortenden Migräne-Patientinnen.
Indes: Zu hoch wollten die Forscher*innen die Aussagekraft ihrer Studie nicht eingeschätzt wissen. Was einerseits daran läge, dass sie möglicherweise trotz der gegebenen Anonymität keine für die Teilnehmer*innen repräsentativen Antworten erhalten hätte. Andererseits sei auch die Auswahlgruppe schon ein Stuck weit vorsortiert gewesen, man habe nur besonders schwer von Kopfschmerzen betroffene Personen berücksichtigt.
Was bedeutet das nun?
In der Tat besteht die prinzipielle Möglichkeit, dass Sex gegen Kopfschmerzen helfen kann. Allerdings nicht jeder Person und bei jeder Kopfschmerz-Variante. Es gilt also weiterhin, Rücksicht auf eine*n Partner*in mit Kopfschmerzen und ihre*seine individuellen Bedürfnisse zu nehmen. Warum der Geschlechtsverkehr unter Umständen bei manchen Varianten hilfreich sein kann, ist allerdings ebenfalls bislang nicht vollumfänglich geklärt. Es gibt jedoch mehrere Faktoren, die dazu beisteuern könnten:
- Er lenkt die Aufmerksamkeit potenziell vom Schmerz weg.
- Sex kurbelt die Ausschüttung von Endorphinen an, die Schmerzen unterdrücken und ein Gefühlshoch auslösen können.
- Das beim Sex ausgeschüttete Oxytocin hilft beim Stressabbau.
- Nach einem Orgasmus befinden sich Körper und Geist in einem Entspannungszustand, welcher gegen die Kopfschmerzen wirkt.
Ein anderes Spielfeld: der Sexualkopfschmerz
Treten die Kopfschmerzen jedoch ausschließlich beim Sex auf, spricht man von Sexualkopfschmerzen. Dabei handelt es sich um eine eigenständig anerkannte Kopfschmerzerkrankung, die etwa einer von 100 Menschen einmal im Leben erlebt. Männer und Migräne-Patient*innen sind dabei offenbar häufiger betroffen, wobei sich zwei verschiedene Formen unterscheiden lassen:
der Präorgasmuskopfschmerz |
der Orgasmuskopfschmerz |
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wird während des Sex langsam schlimmer |
steigt mit zunehmender Erregung |
breitet sich vom Nacken und Hinterkopf in die Stirn aus |
tritt explosionsartig mit dem Orgasmus ein |
kann eine Minute bis drei Stunden lang anhalten |
kommt bis zu vier Mal häufiger als der Präorgasmuskopfschmerz vor |
In Bezug auf ihre jeweilige Vermeidung und Verbesserung gilt, dass
- eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr in Form von Wasser,
- das Weglassen von Alkohol
- und kleine Pausen beim Sex in Form von Entspannungsübungen
eine positive Wirkung haben können.
Sofern die Kopfschmerzen sehr plötzlich und intensiv auftreten, muss man jedoch unbedingt einen Arzt aufsuchen, um ernsthafte Ursachen wie einen Hirninfarkt auszuschließen. Außerdem lohnt sich das Führen eines Kopfschmerz-Tagebuchs, denn dadurch können Mediziner*innen im besten Fall Muster oder auslösende Faktoren leichter erkennen und schneller eine präzisere Diagnose stellen.